Eine Kollegin hat mich heute auf ein Foto einer zweifelhaften Schönheit aufmerksam gemacht. Und zwar war es ein Foto von einem Hund, der auf einer vielbeachteten Hundeausstellung eine besonders gute Bewertung erhalten hat. Wer nun meint, einen vitalen, wunderschönen Hund auf diesem Foto zu sehen, wird herb enttäuscht. Im Grunde wirkt der derart ausgezeichnete Hund auf mich wie eine Karikatur seiner Rasse. Jedenfalls ist es kein Hund, vom dem ich gerne einen Abkömmling haben würde.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters
Natürlich ist es schwierig – wenn nicht gar unmöglich – Schönheit allgemein gültig zu definieren. Denn sie liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Die Frage, die ich mir stelle, ist, ob es Schönheit ohne „Funktionalität“ gibt. Oder anders formuliert: kann Lebensfeindliches schön sein?
„Die Schönheit der Dinge lebt in der Seele dessen, der sie betrachtet.“ David Hume
„Die Schönheit der Dinge lebt in der Seele dessen, der sie betrachtet.“ David Hume
Kann es schön sein, wenn ein Hund beim Atmen Geräusche macht, die man von Horrorfilmen kennt, weil er kaum Luft bekommt? Kann es schön sein, wenn ein Hund sich kaum auf den Beinen halten kann, weil die Zuchtvorschrift ihm das Skelett seines Frosches beschert hat? Kann es schön sein, wenn der Hund anstatt sich zu setzen, nach hinten plumpst? Wenn die Hündinnen einer Rasse ihre Babys nur durch Kaiserschnitt auf die Welt bringen können?
Besser schön als gesund?
Wir züchten Hunde, die kaum oder nur eingeschränkt lebensfähig sind.
Wir züchten Hunde in besonderen Fellfarben obwohl damit möglicherweise ernsthafte gesundheitliche Defizite einhergehen.
Wir züchten Hunde mit Elterntieren, die zwar vielleicht äußerlich entsprechen, vom Charakter her aber ganz und gar nicht zu Stammeseltern taugen.
Und wir züchten sie nicht nur, wir kaufen sie auch.
Wir wollen genau solche Tiere haben. Weil sie irgendwelche Merkmale haben, die uns besonders gut gefallen, Kindchenschema, Kuschelfell, attraktive Farbeffekte und und und. Dadurch tragen wir dazu bei, dass dieser Markt sich dreht und es sich weiterhin lohnt, ohne ethischen Anspruch Hunde zu vermehren.
Schau zurück mit Wehmut
Mit Wehmut erinnere ich mich an meinen ersten Hund: ein Bernersennenhund – um genau zu sein, eine bezaubernde Bernersennenhündin. Sie kam zu mir zu einer Zeit als diese Rasse bei uns nur ganz wenigen Menschen bekannt war. Und zugegeben, sie war eine eher zartwüchsige Bernerin. Ohne nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen erreichte sie das Alter von 11 Jahren. Und – man höre und staune – sie war ein auch Agility-Hund. Kein sportlicher, schneller, eher bedächtig aber mit Begeisterung. Auch die Weitsprünge der diversen Unterordnungsprüfungen und sogar die halbhohe Kletterwand und die große Leiter waren kein allzu großes Problem für sie. (Dass ich heute solche Dinge nicht mehr mit meinen Hunden machen mag, ist eine andere Geschichte.)
Plötzlich in Mode!
Die Rasse Bernersennenhund kam plötzlich in Mode! Ich weiß nicht mehr, ob eine Fernsehserie es war oder eine Futtermittelreklame, die diesen Boom auslöste – oder vielleicht auch beides. Jedenfalls gab es plötzlich rundherum Bernersennenhunde. Doch innerhalb weniger Jahre veränderte sich das Aussehen der Hunde dramatisch. Damals besuchte ich noch gelegentlich Hundeausstellungen. Was ich dort bei „meiner“ Rasse zu sehen bekam, hat mich entsetzt.
Aus den großen aber gut beweglichen vitalen Hunden wurden schwerfällige Fellberge mit teils höchst eigenartigem Bewegungsmuster. Das weiche wellige Langhaar wurde immer mehr zu Teddyplüsch und die Lebenserwartung der hübschen Schweizer wurde deutlich kürzer.
Bevor mich jetzt verantwortungsbewusste ZüchterInnen dieser Rasse in der Luft zerreissen:
Es gibt Ausnahmen und es gibt gute und vor allem gesunde Zuchten, die auch den wundervollen Charakter dieser Hunde bewahren. Was ich hier schildere, ist meine ganz persönliche Beobachtung, nicht mehr und nicht weniger.
Lebensqualität als Kriterium
Was ich eigentlich mit meinen Ausführungen sagen will, ist Folgendes:
Sollte nicht die Fähigkeit, sich gut bewegen zu können, ein wichtiges Kriterium zur Bewertung sein? Frei zu atmen, zu rennen und zu toben, auch einmal zu springen oder zu klettern?
Klar gibt es Unterschiede zwischen den Hundetypen und ein Berner wird kein Windhundrennen gewinnen. Aber Vitalität und Lebensqualität sollten doch ganz oben im Kriterienkatalog der Beurteilung einer jeden Hunderasse stehen.
Die Verantwortung der Zuchtverbände
Gestatten Sie mir an dieser Stelle wieder einmal den Appell an die Zuchtverbände bzw. deren Verantwortliche: Es ist höchst an der Zeit, Schönheitsideale zu Gunsten von Gesundheit, Charakterstärke und Vitalität zu überdenken und sich von dem ein oder anderen „Schönheitsmerkmal“ zu verabschieden!
Aus Liebe zum Hund!
„Viel Käufer machen die Ware teuer.“ Sprichwort
„Viel Käufer machen die Ware teuer.“ Sprichwort
Die Diskussion um die Deutschen Schäferhunde hat aufhorchen lassen. Bei den Möpsen oder den Englischen Bulldoggen (und auch bei einigen anderen Rassen) gibt es Bemühungen um Korrektur ungesunder Entwicklungen. Bleibt zu wünschen, dass die KonsumentInnen (= HundekäuferInnen) diese Bemühungen durch entsprechende Auswahl unterstützen und vor allem bei den sogenannten Moderassen nicht alleine den Kaufpreis als Entscheidungshilfe heranziehen.
Wo endet in Ihren Augen die Schönheit eines Hundes? Vielleicht möchten Sie sich in den Kommentaren dazu äußern. Ich bin gespannt darauf.
Ich wünsche Ihnen viel fröhliches – und gesundes – Wedeln in Ihrem Leben und freue mich über Kommentare und Anregungen.
Herzlichst
Eure und Ihre
Karin Immler
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Danke für den Zuspruch. Ein Umdenken ist tatsächlich dringend notwendig, packen wir’s an!
Liebe Karin, das ist ein wunderbarer Artikel und Aufruf zu mehr Verantwortung bei der Zucht ! Der treue Begleiter des Menschen verdient unsere Liebe und Fürsorge. Er ist kein Spielzeug. Ich hoffe, viele Hundezüchter und HundekäuferInnen lesen deinen Artikel.