Wie laufen Hundebegegnungen bei Ihnen so ab? Haben Sie einen „alles easy“ Hund, der Artgenossen kaum eines Blickes würdigt und leichtfüßig vorbeitrippelt, selbst wenn er schief angeglotzt wird? Herzlichen Glückwunsch, Sie können sich glücklich schätzen. Und bitte sorgen Sie dafür, dass Ihr Hund auch mitbekommt, dass solches Verhalten Sie glücklich macht. Denn es ist alles andere als selbstverständlich!

Oder haben Sie einen „Ich muss da unbedingt sofort hin“-Genossen, der gar nicht begreifen kann, wenn sich der andere über seine distanzlosen Avancen ganz und gar nicht freut?

Oder haben Sie womöglich einen Teilzeit-Rambo an der Leine, der keine Begegnung auslässt, ohne Krawall zu schlagen? Das ist die mühseligste Variante. Besonders, wenn Sie im städtischen Bereich zuhause sind, kann das ganz schön unangenehm sein, ich weiß. Vermutlich würden Sie bei solchen Gelegenheiten gerne im nächsten Mauseloch verschwinden und das verflixte Hundetier zum Teufel jagen. Und dann noch die „intelligenten“ Kommentare der anderen HundehalterInnen „Der ist wohl schlecht sozialisiert!“ oder „Sie haben aber einen bösen Hund!“

Da könnte einem schon einmal der Kragen platzen.

Wer braucht schon solche Kommentare?

Besonders hilfreich sind derartige Kommentare dann, wenn man als bemühte BesitzerIn eines Sozial-Rambos beizeiten in den Wald, in eine Einfahrt oder sonst wohin ausweicht und versucht, den Pöbler halbwegs ruhig zu halten. Bestimmt ist Ihnen das auch schon passiert, dass dann die entgegenkommende Person, meist mit Flexileinenhund, justament auf gleicher Höhe stehen bleibt, um dann auch noch Konversation zu machen: „Mag der keine Hunde?“ oder „Na der macht aber ein Theater.“ Dass die Flexileine dabei keinesfalls gestoppt wird, ist noch ein „gerngesehenes“ Detail bei solchen Begegnungen.

Hilfe, wo ist jetzt das Mauseloch?

 

HundeerziehungsversagerIn?

Viele HundehalterInnen schämen sich in so einem Moment zu Tode. Sie fühlen sich unfähig und als VersagerIn, weil sie keinen „freundlichen“ Hund haben, weil sie es nicht schaffen, ihren Hund so zu erziehen, dass er andere mag.

Aber glauben Sie mir, es gibt keinen Grund, sich zu schämen.

Es ist keine Schande, einen schlecht sozialisierten Hund zu haben.

Vermutlich ist es ja nicht einmal Ihre Schuld, dass Ihr Hund so ist. Und überhaupt, was ist denn ein sozialverträglicher Hund?

Wir alle kennen diese Hunde, die sich allem und jedem gut verstehen, egal ob zwei- oder vierbeinig. Wir kennen aber auch die, die einfach nur unkontrolliert auf alles und jeden zu rennen, egal ob erwünscht oder nicht – ist das sozialverträglich? Ist es tatsächlich ein Zeichen guter Sozialisierung, anderen den Kontakt aufzudrängen?

 

Es gibt viele Gründe, warum ein Hund (noch) nicht sozialverträglich ist. Genau wie bei uns Menschen gibt es natürlich gesellige Typen, die rasch – allerdings meist oberflächliche – Freundschaften schließen. Und dann gibt es die Scheuen, die Zurückhaltenden und die, die schlechte Erfahrungen mit anderen Hunden gemacht haben. Wer bereits gemobbt oder gar gebissen wurde, wird sich in Zukunft genau überlegen, mit wem er sich näher einlässt.

Und dann gibt es auch noch diejenigen, die nicht gelernt haben, wie man sich in Gesellschaft bewegt, wie man sich benimmt, und daher auf Annäherung mit Rückzug oder Aggression reagieren. Es kann aber auch sein, dass ein Hund aufgrund von Hormonschwankungen in der Läufigkeit, Schmerzen oder Altersleiden zwider (österreichisch für unleidlich, vermutlich abgeleitet von „zuwider“) ist und keinen Wert darauflegt, andere Hunde kennenzulernen.

Es ist keine Schande, einen unverträglichen Hund zu haben

Eine Schande für Sie ist das nur, wenn Sie die Thematik ignorieren und aus Nachlässigkeit oder Desinteresse riskante Situationen zulassen. Wenn Sie aber – und das tun sehr viele betroffene HundehalterInnen – Lösungswege suchen, mit dem Hund trainieren und vielleicht mit einer TrainerIn gemeinsam daran arbeiten, gangbare Strategien zu entwickeln, dann gibt es keinen Grund, sich zu schämen.

Wer sich bemüht, andere nicht zu behelligen, indem er/sie ausweicht, an der Seite abwartet und Begegnungen (vorläufig) vermeidet, benimmt sich verantwortungsbewusst und rücksichtsvoll.

 

Sozialverträglich oder rücksichtlos

Wikipedia: Das Sozialverhalten umfasst alle Verhaltensweisen von Menschen und Tieren, die auf Reaktionen oder Aktionen von Individuen der eigenen Art abzielen. Sozialverhalten umfasst somit sowohl Formen des harmonischen Zusammenlebens als auch agonistisches (rivalisierendes) Verhalten.

Neulich habe ich einen Artikel über Sozialverträglichkeit gelesen, in dem eine wichtige Frage gestellt wurde. Nämlich die, wie es um die Sozialverträglichkeit jener Menschen bestellt ist, die ihre Hunde ungefragt auf andere zulaufen lassen und womöglich auf die Bitte, den Hund anzuleinen, unverschämte Antworten geben. Die HundehalterInnen, die a) nicht darüber nachdenken, was sie da von ihrem Hund und auch von den Entgegenkommenden erwarten und b) zu abgelenkt, zu schusselig oder zu ignorant sind, um zu erkennen, wenn die andere Person auszuweichen versucht, halte ich tatsächlich nicht für besonders „gut sozialisiert“ und schon gar nicht für höflich.

 

Was heißt hier sozialverträglich?

Und doch geraten die gerade diejenigen Hundemenschen in Erklärungszwang, die einer möglicherweise unerfreulichen Begegnung auszuweichen versuchen.

Die HundehalterIn, die schon halb im Dickicht stehend, einen unangeleinten Tut-nix-Hund vom Näherkommen abhalten möchte, soll sich rechtfertigen.

Wer aus sicherem Abstand „Bitte leinen Sie Ihren Hund an.“ ruft, soll sich rechtfertigen.

Dabei ist doch viel mehr Erklärungsbedarf auf Seiten der Person, die den Hund trotz Ersuchen weder anleint noch zu sich ruft. Und erst recht, wenn der Hund zwar gerufen wird, aber sich nicht abrufen lässt. Denn hier findet tatsächlich verantwortungs- und rücksichtsloses Verhalten statt. Hier wird die Belästigung anderer billigend in Kauf genommen.

Sie können Ihrem Hund nicht beibringen, andere Hunde (alle!) zu mögen. Durch kluges Management und entsprechende Trainingstechniken können Sie ihm allerdings vermitteln, auch Hunde, die er nicht mag, halbwegs gelassen und in angemessenem Abstand passieren zu lassen, ohne ihnen allzu große Aufmerksamkeit zu schenken. Das funktioniert dummerweise nur, wenn auch der andere Hund entsprechend zur Höflichkeit angehalten wird und nicht durch ungebremste Unterschreitung der Individualdistanz Ihr Training und Ihre Bemühungen torpediert. Selbst bei allergrößter Umsicht des/der Hundehaltenden kann es zu unschönen Begebenheiten mit diesen „sozialverträglichen“ Exemplaren kommen.

Soziale Verträglichkeit bedeutet keinesfalls, dass Ihr Hund alle anderen von Haus aus als Freunde betrachtet und mit jedem (fremden) Hund sofort ein ausgelassenes Spiel beginnt. Um miteinander zu spielen, braucht es ein Mindestmaß an Vertrautheit. Die meisten Hunde legen keinen Wert auf einen großen Bekanntenkreis, sondern sind lieber mit einigen wenigen guten Kumpels zusammen. Gewachsene Freundschaften halten meistens lang. Um sich zu entwickeln, brauchen sie Zeit und Gelegenheit, wie sie zum Beispiel bei gut geführten Social Walks oder Trainingsspaziergängen geboten werden. Ist es unsozial, sich zum Kennenlernen Zeit zu nehmen?

„Wahre Freundschaft ist eine sehr langsam wachsende Pflanze“ George Washington

Hunde sind grundsätzlich soziale Wesen, das stimmt. Sozial bedeutet aber noch lange nicht, allem und jedem (Artgenossen) gegenüber immer und zu jeder Zeit freundlich zu sein. Wie gut könnten Sie selbst einen solchen Anspruch erfüllen, wiewohl wir Menschen  ja auch soziale Wesen sind?

Wie sozial kompatibel ein Hund ist, hat sehr viel mit dem Verantwortungsbewusstsein und den Managementqualitäten des Menschen zu tun. Wer seinen Hund ständig in Begegnungen führt – oder zulässt, dass er hineinstolpert -, denen er nicht gewachsen ist, der- oder diejenige sollte sich schämen. Wer dagegen auf den Hund achtet, die Einhaltung seiner Individualdistanz und der der anderen ermöglicht und seinen Hund vor unerwünschter Kontaktaufnahme schützt, hat wahrlich keinen Grund sich zu schämen.

Ich wünsche Ihnen viele ungestörte Ausgänge und nette Begegnungen und freue mich über Kommentare und Anregungen.

Eure und Ihre

Karin Immler

 

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