Zu lernen, wie man einen Hund gut führt, ist Persönlichkeitsentwicklung.

Woher ich das weiß? Zum einen, weil ich es selbst so erlebt habe. Und zum anderen, weil ich es bei den Hundemenschen in meiner Umgebung und in meinem beruflichen Alltag beobachten durfte.

Die schüchterne junge Frau, die über die Hundeschule gelernt hat, ihren Hund zu beschützen und für ihn (und für sich selbst) einzustehen. Der polternde Herr, der seinem Hund zuliebe ruhiger wird, weil er weiß, dass das Training mit dem Hund dadurch effektiver ist.  Das fahrige Frauchen, das ihrem hibbeligen Hund Ruhe vermitteln möchte und erst einmal „durchatmet“, um den Hund sicher anzuleiten. Solche Beispiele habe ich viele erlebt, auch Hundetrainerinnen und ihre Hunde zählen dazu.

„Zu lernen, wie man einen Hund gut führt, ist Persönlichkeitsentwicklung“ Karin Immler

 

In den vergangenen rund 30 Jahren haben mich sehr unterschiedliche Hunde begleitet. Ebenso unterschiedlich wie die Tiere selbst, waren die Herausforderungen, die sie mitgebracht haben. Eines hatten sie alle gemeinsam, sie waren ganz wunderbare Hunde, die mein Leben ungemein bereichert haben. Und sie haben mich verändert. Gelassenheit war beispielsweise nicht mein Ding. Ich bin im Sternzeichen Widder geboren, das dafür bekannt ist, ungeduldig zu sein und mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.

Beides ist in Sachen Hund wenig hilfreich 🫣. Das habe ich schon mit meinem ersten Hund erkennen müssen.

 

Geduld bringt Rosen

So ist eine der wichtigsten Entwicklungen, die ich meinen Hunden zu verdanken habe, dass ich an Geduld zugelegt habe (zumindest mit den Hunden 😉 ). Es braucht Zeit, um sich an neue Lebensbedingungen zu gewöhnen. Es braucht Zeit, um zu lernen, in der Hundeschule und im Leben. Es braucht Zeit, um Verhalten zu verändern. Und es braucht nochmals Zeit, um dieses veränderte Verhalten stabil in den Alltag zu integrieren. Was dabei hilft? Der Fokus auf kleine Schritte.

 

Das Prinzip der kleinen Schritte

Diese Erfahrungen haben auch mein Training verändert, mehr als es jede theoretische Unterweisung könnte. Heute teile ich Anforderungen in immer noch kleinere Minischrittchen auf, um den Hunden Zeit zu geben, in ihrem eigenen Tempo zu lernen. In der Hundeschule wurde alles ruhiger, kleinschrittiger und unaufgeregter – und im Endeffekt bin ich damit sogar schneller, als ich es früher in meiner Ungeduld war.

Das Training macht Spaß, ich nehme die kleinen Zwischenschritte nicht als Zeitvergeudung aber als Etappensiege wahr und kann mich darüber freuen, anstatt mich zu ärgern, dass der Hund noch nicht xy macht. Damit wächst auch die Wertschätzung für die Leistungen, die der Hund erbringt. Die Ergebnisse sind nachhaltiger als früher, denn das, was wir erarbeiten, das sitzt auch.

„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“ Aus Sambia

Dass ich heute deutlich mehr auf Details achte, die ich früher vielleicht übersehen habe, ist vor allen Dingen Sebadja zu danken. Er war ein gestrenger Trainingspartner. War ich schlecht vorbereitet, musste ich während des Trainings irgendetwas um arrangieren, dann ging er einfach aus dem Zimmer. Bestimmt können Sie sich gut vorstellen, wie perplex ich war – und wie verärgert. Der Ärger schwand in zunehmendem Maße mit der Erkenntnis, warum der Hund sich so verhielt. Auch mein Sir Teddybär ist ziemlich streng mit mir und crasht die Trainingseinheit, wenn er keinen roten Faden erkennt oder ich unsauber arbeite.😜 Tara war toleranter, was das betrifft, sie hätte wohl ewig weitergemacht, egal was – Hauptsache, sie hatte meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Heute weiß ich, wenn die Hunde die Zeit bekommen, die sie brauchen, können sie auch verstehen, was wir von ihnen möchten. Auch das erwünschte Verhalten zu entwickeln und zu festigen, braucht Zeit und die Möglichkeit für jeden Hund, es in seinem Tempo und in seiner Art zu tun. Um daraus eine gute Gewohnheit zu machen, braucht es nochmals Zeit und unsere Unterstützung. Denn wir sind dafür verantwortlich, den stabilen Rahmen zu schaffen, der das ermöglicht und innerhalb dessen der Hund sich entwickeln kann.

Angst ist keine Entscheidung

Angst ist da – unmittelbar, überwältigend und oft nicht leicht zu erkennen.

Und – Angst ist nicht diskutierbar. Sie ist so individuell wie wir es sind oder die Hunde. Sie haben mir gezeigt, wie allgegenwärtig Angst sein kann, wie verschiedenartig und was sie anrichtet. Gipsy fürchtete sich vor Schüssen und Blasmusikumzügen. Sebadja hatte Zeit seines Lebens Angst, wenn ein Streichholz angerissen wurde oder er bei Dunkelheit und Regen an der Straße gehen musste. Tara hatte anfangs vor beinahe allem und jedem Angst und konnte je nach Auslöser massiv nach vorne gehen. Mogli ruhte in sich, ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals Angst gezeigt hätte, Unmut schon – des öfteren. Und sogar Sir Teddybär hat seine Achillesferse in Form einer scheckigen Doggenhündin, an der – mit Abstand – vorbeizugehen, er um keinen Preis zu bewegen war. Zu erkennen, dass hinter Nicht-Ausführen von Anweisungen, hinter Aggressivität und Lautstärke meist Unsicherheit und Angst stecken, hat viel für mich verändert. Einerseits sind es die vierbeinigen Zeitgenossen, die poltern, lärmen und sich aufführen wie die Irren, die unsere Hilfe und unseren Schutz brauchen, und andererseits die ganz stillen, unauffälligen, die eine Tendenz zur Unsichtbarkeit haben.

Auch das ist eine Erkenntnis, die die Jahre vertieft haben. Hunde sind viel mehr auf unseren Schutz angewiesen, als uns klar ist. Niemand sonst kann sie beschützen vor den großen und kleinen und auch vor den eingebildeten Gefahren, wenn nicht wir das tun.

 

Es ist unsere Verantwortung

Sie brauchen Fürsorge, Vorsorge und vor allem den Beistand, den ihnen niemand sonst geben kann – nicht nur Futter, Wasser, ein Bettchen und eine Hundemarke.

 

Prioritäten im Hundetraining

Was sich ebenfalls von Hund zu Hund verändert hat, sind meine Prioritäten. Mein erster Hund wurde selbstredend sofort in der Hundeschule angemeldet, Hundesportverein damals. Das Augenmerk lag auf dem Prüfungsschema und den zugehörigen Abläufen. Dass der Hund im Alltag funktioniert, die Regeln versteht und befolgt, haben wir quasi vorausgesetzt. Die Methoden im Hundetraining waren rückblickend laut, anstrengend und unerfreulich. Im Alter von 4 Jahren ist mein Hund „ausgestiegen“, hat auf dem Hundeplatz völlig verweigert und mich gezwungen, andere Wege zu gehen. Danke dir dafür, meine Süße!

Von Hund zu Hund sank mein Interesse für diese Art von Gehorsamsübungen und das ganz normale Leben mit Hund rückte mehr und mehr in den Vordergrund. „Unterordnung“ und „Gehorsamstraining“ wurden abgelöst durch Kommunikation, Kooperation und das Schaffen hilfreicher Alltagsroutinen. Heute bin ich z.B. Fan von Medical Training, einer vor 30 Jahren völlig unvorstellbaren Herangehensweise, die dem Hund ermöglicht, tatsächlich auch „nein“ zu sagen.

 

Laissez-faire in der Hundeerziehung!?

Ist mein Hund deshalb schlimm oder unerzogen? Nein, keinesfalls, er ist ein angenehmer Begleiter, nicht perfekt aber „gut zu haben“.  Beim Tierarzt ist er gern gesehen (meine Tierärztin gibt sogar ein bisschen an mit ihm), im Besuchsdienst macht er ebenfalls eine gute Figur, nur beim (versuchsweisen) Rally Obedience sind wir kläglich gescheitert. Wobei das vermutlich mehr an mir als an ihm liegt.

 

Ob ich mit meinem Hund trainiere?

Ja durchaus, vor allem Pflegevorgänge und Abläufe, die sich aus unserem Alltag ergeben. Die klassische „Unterordnung“ kommt auch vor, Leinenführigkeit zum Beispiel, Rückruf, eine Bleibeübung etc., aber in einer völlig anderen Energie. Ich erwarte von meinem Hund keinen Kadavergehorsam, er muss nicht funktionieren. Wird mir klar, dass er etwas nicht kann, das wir brauchen, bin ich dran. Es liegt an mir, meinem Hund zu ermöglichen und ihn dabei zu unterstützen, das zu lernen, was ich von ihm erwarte.

Insgesamt ist das Verhältnis zu meinem Hund entspannter als es damals war und die formalen Erwartungen an sein Verhalten sind deutlich weniger geworden.

 

VÖHT-Blogparade

Unsere Hunde sind wunderbare Lehrer, das durfte ich erleben und dafür bin ich dankbar. Was ich mit ihnen und durch sie lernen durfte, geht weit über die heutige Aufzählung hinaus und gibt Stoff für viele weiter Blogartikel. Dieser hier ist im Rahmen der VÖHT-Blogparade „HundetrainerInnen und ihre Hunde“ entstanden und ich lade Sie herzlich ein, auch die Geschichten und Gedanken meiner KollegInnen zu lesen.

 

 

 

Viel Freude beim Lesen wünscht

Eure und Ihre

Karin Immler

 

 

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