Ein Welpe ist ein Baby? Ja klar, oder? Nun, so klar scheint es nicht zu sein, wenn man sich so anschaut, welche Erwartungen manche Menschen an so einen Winz-Welpen haben.

Der Kleine soll
  • sofort kommen, wenn man ihn ruft – auch wenn er mit 15 verschiedenen Signalen gerufen wird
  • locker an der Leine gehen – egal wie spannend es rundherum ist
  • mit allen Hunden fröhlich spielen , die seinen Weg kreuzen – aber nur dann, wenn Herrchen oder Frauchen dazu Zeit haben. Denn wenn nicht, soll er ohne großes Interesse vorbei gehen
  • pünktlich melden, wenn er zur Toilette muss und ja nicht versehentlich ein Lackerl machen – auch nicht vor lauter Aufregung
  • stundenlang alleine bleiben – obwohl er bis jetzt rund um die Uhr mit Mama und 7 Geschwistern zusammen war
  • sich immer und überall wie ein wohl erzogener erwachsener Hund benehmen – und weiterhin wie ein niedlicher Welpe aussehen
  • und natürlich wird er Man- oder Pettrailer, Diabetikerwarnhund oder zumindest Therapiehund  – und zwar möglichst noch im 1. Lebensjahr.

Ein bisschen viel verlangt, finden Sie nicht!?

 

Ein Welpe ist kein kleiner Hund, sondern ein Baby

Ich kann mich noch gut an den allerersten Welpenkurs meines Lebens erinnern. Den habe ich vor mehr als 25 Jahren mit meinem ersten eigenen Hund besucht. Wir hatten uns gut vorbereitet, schon vor Einzug des Welpen geklärt, wo die Hundeschule war und wann die Kurse losgehen sollten. Und so fand ich mich dann auch kurz nach Einzug meiner Gipsy auf dem Trainingsplatz des Hundesportvereins zum dortigen Welpenkurs ein. Heute sehen wir dazu bunte Bilder, auf denen Welpen verschiedener Rassen drunter und drüber kugeln. (Dass das aus diversen Gründen gar nicht unumstritten ist, darüber ein andermal mehr.)

 

Zur Welpenschule

 

Damals sah das völlig anders aus. Da standen 12 aufgeregte Menschen mit 12 mindestens ebenso aufgeregten Hundezwergen in einer Reihe – also zumindest die Menschen-, und versuchten verzweifelt die Hundekinder an strammer Leine halbwegs ruhig zu halten.

 

„Wer sichere Schritte tun will, muss sie langsam tun“ J. W. Goethe

Das Programm war Standard: wir begannen sofort mit den Übungen, die wir später zur Begleithundeprüfung zeigen sollten. Also exaktes Auf- und Abgehen, Sitzübung, Platzübung, Heranrufen und so weiter. Das Ganze fand natürlich an kurzer Leine, mit Halsband oder Kette statt. Gelobt werden durfte (in bescheidenem Maß), gelegentlich auch ein Leckerchen, in der Regel wurde der Hund getätschelt, wenn er etwas gut gemacht hatte. Die Herangehensweise war genauso wie bei den Großen – und der damaligen Lehrmeinung geschuldet – halt auch ziemlich ruppig.

 

Abgesehen davon, dass wir heute in Sachen Hundeerziehung grundsätzlich eine andere Herangehensweise haben, war das alles andere als „kindgerecht“. In einem Welpenkurs geht es um Welpen und Welpen sind keine erwachsenen Hunde. Das bedeutet, dass sie völlig andere Bedürfnisse haben, viel mehr – und längere – Pausen brauchen und vor allem ganz andere „Lerninhalte“ wichtig sind.

 

Die Welt ist ein schöner Ort. Ist die Welt ein schöner Ort?

Denn so ein Hundekind muss ja erst einmal die Welt kennenlernen. Und ein ganz wichtiges, das allerwichtigste Element in dieser neuen Welt sind Sie, der Mensch als Gegenüber. So wichtig der sogenannte Gehorsam auch sein mag, zunächst sollte so Ihr Welpe erst einmal lernen, dass die Welt ein schöner Ort ist und dass sein Mensch, nämlich Sie, der wunderbarste, zuverlässigste und vertrauenswürdigste Beziehungspartner ist, den man sich als Hundekind nur wünschen kann.

 

Meine geschätzte Kollegin Bettina Neuner hat es neulich so formuliert: „Für mich muss ein Welpe in den ersten Lebenswochen lernen, dass ich ihn lieb habe und dass er mir vertrauen kann. Ist diese Vertrauensbasis geschaffen, können wir dem Hund später (fast) alles beibringen.“

„Worte sind Zwerge – Beispiele Riesen“ Unbekannt

Zeigen Sie Ihrem Welpen, nein beweisen Sie es ihm, dass Sie absolut vertrauenswürdig sind. Dazu gehört, dass Sie die Gemütsverfassung Ihres Welpen erkennen und ernst nehmen. Es ist schließlich keine Kleinigkeit mit 10 oder 12 Wochen Lebenserfahrung einem fremden Hund, einem Müllwagen oder einem Kinderwagen gegenüber zu stehen. Das kann schon ziemlich herausfordernd sein. Und womöglich überwiegt (noch) die Angst vor diesem gefährlichen Sub- oder Objekt. Dann ist es wichtig, dass Sie als moralische Rückendeckung für Ihren kleinen Helden bereitstehen und er sich auch zu Ihnen flüchten darf, wenn die Angst zu groß wird.

„Wo Liebe wächst, gedeiht Leben – wo Hass aufkommt droht Untergang“ Mahatma Gandhi

Wenn Ihr Kleiner sich zwischen Ihren Beinen versteckt um  erst einmal vorsichtig abzuchecken, was da rundherum vorgeht, dann ist es grausam, wenn Sie dazu nötigen, die sichere Deckung zu verlassen. Und Sie stellen dadurch klar, dass Sie nicht zur Verfügung stehen, wenn es eng wird. Eine wichtige Erfahrung für den jungen Hund, wenn auch eine traurige.

 

Zur Junghundeschule

 

Gute Erfahrungen prägen das Weltbild – schlechte auch!

Wenn ihm so etwas öfter passiert, dann wird der Kleine sehr schnell lernen, dass er auf sich gestellt ist, wenn es unnangenehm wird. Und er wird möglicherweise Strategien entwickeln, die Ihnen nicht gefallen: nach vorne gehen, ankläffen, anspringen, schnappen und dergleichen. Und so legen Sie möglicherweise den Grundstein für eine Problemhundkarriere.

 

Schade, sehr schade. Dabei ist es ja auch für Sie viel netter, wenn Ihr Hundekind die Erfahrung macht, dass es Ihnen vertrauen kann und bei Ihnen – im übertragenen Sinn – immer ein offenes Ohr für seine Sorgen findet. Und ist es nicht ein schönes Gefühl, wenn Ihr Hund Sie für Superman oder Superwoman hält und genau weiß, dass Sie für jede noch so knifflige Lage eine gute Lösung finden.

„Er muss aber folgen“

Ein Hund muss lernen, sich in unserer Welt „zu benehmen“, verschiedene Verhaltensweisen auf Ihr Signal hin zuverlässig auszuführen und nicht ständig für Ärger zu sorgen. Allerdings ist das, was wir unter einem folgsamen Hund verstehen, nicht gerade die naheliegendste Vorgangsweise für einen Hund. Vieles, das Sie von Ihrem Hund erwarten, womöglich sogar voraussetzen, ist aus der Sicht Ihres Hundes mehr als seltsam. Er braucht Zeit, all das zu lernen, was er als erwachsener Hund können soll.

„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“ aus Sambia

In einer meiner Ausbildungen hatte ich es mit einem Lehrer zu tun, der zum ersten Mal mit Erwachsenen arbeitete. Er behandelte uns wie 10jährige und natürlich war das für uns eigenartig und wirklich nicht die beste Art, uns zu unterrichten. Umgekehrt wird man einem Volksschulkind den Unterrichtsstoff nicht auf dieselbe Weise vermitteln – und schon gar nicht schmackhaft machen können –  wie einem  30jährigen Manager bei einer beruflichen Fortbildung.

Auch bei Hunden hat die Natur eine ganze Weile zum Erwachsenwerden eingeplant und ein Welpe ist nicht einfach nur ein zu klein geratener Hund, sondern ein Baby. Die Wahrmehmungskanäle, die Verarbeitungswege im Gehirn, die motorische Umsetzung – all das und noch viel mehr braucht Zeit, sich zu entwickeln.

Keinesfalls bedeutet das, dass Sie Ihr Hundebaby unter einen Glassturz packen und von allem fernhalten sollen. Das ist damit nicht gemeint. Aber sorgsam und in Ruhe heranwachsen lassen, behütet und liebevoll angeleitet, darum geht es.

 

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Jeder Gedanke, jede Minute, jede Bemühung, die Sie in die gute Bindung investieren, wird üppige Zinsen abwerfen und Sie reichlich belohnen. Schaffen Sie für sich und Ihren Hund so einen sicheren Hafen, eine Insel der Seeligen, auf der es Ihnen beiden gut geht und von wo aus Sie gemeinsam die Welt erobern können.

 

Herzlichst

Ihre

Karin Immler

 

 

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