Das ist so eine Sache mit der Angst. Wer sie hat, ist eigentlich doppelt bedient. Erstens eben weil er Angst hat und zweitens aufgrund der Reaktion seiner Umwelt. Denn diese kann die Angst womöglich missverstehen, verlachen, bewusst ignorieren oder überhaupt nicht wahrnehmen. Angst lässt uns verrückte Dinge tun, die sich nach außen oder auch nach innen richten. So kann es sein, dass Sie aus Angst eine kleine Spinne töten oder den Staubsauger an die Wand werfen, weil die Spinne in der Zwischenzeit das Weite gesucht hat. Es kann aber auch sein, dass Ihnen die Angst auf den Magen schlägt, oder Sie sich die Fingernägel ab beißen bis es blutet.
Die Logik der Angst
Angst ist nicht verhandelbar. Wer Angst hat, hat Angst.
’’Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie“ Erich Kästner
’’Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie“ Erich Kästner
Angst hat auch nichts mit Logik zu tun, sondern vielmehr mit Chemie. Wenn aus irgendeinem Grund der Alarmknopf gedrückt wird, beginnen Hormone, Botenstoffe und alle möglichen Gehirnverschaltungen zu arbeiten – und zwar im Notfallmodus. Sprich: alles muss sehr schnell gehen, zum Überlegen bleibt keine Zeit. Denn im Gehirn schreit alles „Alarm!“
In dieser Verfassung macht man die verrücktesten Dinge (siehe Staubsauger) und verhält sich vielleicht völlig anders wie sonst. Und, was man in dieser Situation ganz bestimmt nicht gebrauchen kann, sind Diskussionen, Hohn oder Ignoranz.
Angst ernst nehmen
Was dagegen helfen würde, wäre Verständnis und das Gefühl, von Ihrem Gegenüber ernst genommen zu werden – mitsamt Ihrer Angst. Trost, Hilfestellung, Zuflucht gewähren und dergleichen würden ebenfalls gut tun.
Viele Menschen haben beispielsweise Angst vor Spinnen oder Schlangen und entwickeln die unmöglichsten Strategien, wenn sie ihrer ansichtig werden. Bedächtige, kultivierte Menschen werden zu hirnlosen Hysterikern.
„Angst essen Seele auf“ Rainer Werner Fassbinder
„Angst essen Seele auf“ Rainer Werner Fassbinder
Die Hormone, die an diesem Zustand “schuld“ sind, sind bei Mensch und Hund dieselben. Die Vorgänge im Gehirn gleichen einander und ebenso die körperlichen Auswirkungen. Vom beschleunigten Puls bis zu den veränderten Pupillen, von der Atmung bis zum Stressgesicht und von der Unruhe bis zum plötzlichen Schuppen – die Unterschiede sind gering. Und von jetzt auf gleich sind Beherrschung, gute Manieren und überlegte Handlungsweise futsch.
Angst ignorieren?!
Spätestens jetzt sollte Ihnen auffallen, wie fatal die Anweisung ist, die Angst Ihres Hundes zu ignorieren. Wie würden Sie selbst sich fühlen, wenn Ihr Gegenüber überhaupt nicht mitbekommt – oder vorgibt, es nicht mitzubekommen –, wie es Ihnen geht? Von Fremden könnte man das noch hinnehmen. Wenn aber ein Mensch, der Ihnen nahe steht, sich so verhält, dann wären Sie sehr enttäuscht und gekränkt. Sie würden sich im Stich gelassen fühlen. Und wenn Ihnen das von einer Ihnen nahestehenden Person des Öfteren widerfährt, würde Ihr Vertrauen in diesen Menschen doch sehr darunter leiden.
’’In Ängsten findet manches statt, was sonst nicht stattgefunden hat.‘‘ Wilhelm Busch
’’In Ängsten findet manches statt, was sonst nicht stattgefunden hat.‘‘ Wilhelm Busch
Bleiben wir bei der Angst vor Spinnen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen gemütlich mit Ihrem Schatz in einem Lokal bei einem Glas Wein. Plötzlich lässt sich von der Decke so ein krabbeliges Spinnentier an seinem Faden herunter – direkt vor Ihrer Nase. Sie erstarren und würden am liebsten laut schreien vor lauter Schreck. Und Ihr Allerliebster (resp. Ihre Allerliebste) bleibt völlig ungerührt, tut so als wäre alles ganz normal und macht keinerlei Anstalten Ihnen in Ihrer Not zu helfen oder Sie wenigstens zu trösten. Wie würden Sie sich dabei fühlen?
Das wäre nicht in Ordnung. Zu Recht erwarten Sie
a) ernst genommen zu werden und
b) Unterstützung zu bekommen, zumindest moralische.
Beziehungspartner helfen einander
Glauben Sie mir, Ihrem Hund geht es da ganz ähnlich. Innerhalb eines sozialen Verbandes hat es einen Sinn, Angst zeigen zu können. Angst zu zeigen hat hier auch die Funktion einer Bitte, nämlich der Bitte um Hilfe. Und wenn Sie Wert darauf legen, sich als verlässlicher Beziehungspartner Ihres Hundes zu erweisen, dann sollten Sie dieser Bitte auch Folge leisten. Zum einen, indem Sie dem Hund signalisieren, dass Sie seine Not erkennen und wissen, dass er sich gerade ganz schlecht fühlt. Und zum anderen, indem Sie – auf angemessene Weise – Trost und Sicherheit spenden.
Angst wird durch Trost nicht schlimmer!
Angst kann durch Zuwendung nicht verstärkt werden. Diese Annahme bezieht sich auf die positive Bestärkung, die aber im Zusammenhang mit Angst nicht anwendbar ist. Denn Angst ist eine Emotion und kein Verhalten.
„Dort wo man Trost findet, ist man zu Hause“ unbekannter Autor
„Dort wo man Trost findet, ist man zu Hause“ unbekannter Autor
Zurück zu unserem Beispiel mit den Spinnen. Jetzt sitzen Sie dort im Lokal – eng, voll, ein Ecktisch – und wissen im Moment nicht ein noch aus, weil diese Spinne sich vor Ihrer Nase abseilt. Wenn Ihre Begleitung Ihnen jetzt tröstend den Arm um die Schulter legt, wird Ihre Angst vor der Spinne dadurch größer? Ganz bestimmt nicht! Im Gegenteil, Sie werden sich in diesem Moment ein wenig besser und vor allem verstanden fühlen. Ist der Mensch an Ihrer Seite dann auch noch gegenwärtig genug und ermöglicht Ihnen, von diesem Schreckenstier abzurücken und sich woanders hin zu setzen, dann wird sich auch dadurch Ihre Angst keinesfalls vergrößern. Ihre Begleitung aber ist gerade zu Heldenruhm aufgestiegen und Sie sind dieser Person zutiefst dankbar.
Zur Erinnerung: die Vorgänge im Gehirn, die da gerade bei Ihnen abgelaufen sind, sehen bei Ihrem Hund nicht wirklich anders aus.
Meine geschätzte Kollegin Bettina Neuner hat ein Buch geschrieben, Angsthunde. Definition, Diagnostik, Management, Trainingsansätze*, das ich Ihnen an der Stelle ans Herz legen möchte.
Sehen Sie nicht tatenlos zu
Unterstützen können Sie Ihren Hund auf ganz unterschiedliche Weise: Gut durchdachtes Training, hilfreiche Rituale, energetische Unterstützung, Tellington TTouch und eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten helfen Ihrem Hund, mit Herausforderungen besser umgehen zu können. Eine ganz besondere Herausforderung für die meisten Hunde ist Silvester. Laute und plötzliche Geräusche, heftige Lichteffekte – für unsere Hunde ganz furchtbar. Doch Sie müssen nicht tatenlos zusehen. Noch haben Sie etwas Zeit, Ihren Hund darauf vorzubereiten.
Das Anleitungspaket Silvester enthält nützliche Anleitungen, Ansätze und Möglichkeiten, Ihrem Hund den Jahreswechsel zu erleichtern.
Noch haben Sie ein wenig Zeit und wenn Ihr Hund zu den vielen gehört, die an Silvester Angst und Panik haben, dann sollten Sie diese nützen.
Ich wünsche Ihnen viel fröhliches Wedeln in Ihrem Leben und freue mich über Kommentare und Anregungen.
Herzlichst
Eure und Ihre
Karin Immler
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[…] Die Sache mit der Angst […]
Danke Barbara, offenbar trifft er den Nerv. Ich habe auch schon so nette Reaktionen per Email bekommen. Unsere Angsthaserl! Sie tun mir so schon leid genug. Auch ohne ignorieren <3.
Viele liebe Grüße
Karin
Wunderbarer Beitrag! Danke Karin!