Langsam spricht sich herum, welches Potential gutes Training hat und was mit Planung, Struktur, gutem Timing und kreativen Belohnungen möglich ist. Das ist ein schöner Erfolg für uns alle, denen freundliches Tiertraining am Herzen liegt.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Irgendwie entsteht beim Durchclicken durch Foren und Gruppen der Eindruck, als ginge es ausschließlich um Training. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin ein Fan von gutem Training. Ich bin begeistert davon, was mithilfe von kleinschrittigen und individuell abgestimmten Trainingsplänen möglich ist. Denken Sie nur an das Medical Training, bei dem die Tiere lernen, sogar schmerzhafte Maßnahmen nicht nur irgendwie auszuhalten, sondern tatsächlich mitzumachen. Immer wieder faszinierend.

Training ist nicht alles

Aber es muss uns auch klar sein, dass Training nicht alles ist und nicht alles kann. Im Idealfall findet das Training vor dem Hintergrund einer tragfähigen Beziehung statt. Eine gute Beziehung ist ein sensibles Konstrukt, bestehend aus wichtigen Ingredienzien, wie zum Beispiel Vertrauen, Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit, Respekt vor dem Gegenüber, dazu eine gewisse Großzügigkeit und Geduld. Und zu mindest von Seiten des Menschen gehört auch eine Prise Humor dazu. (Wobei ich, nebenbei gesagt, der festen Überzeugung bin, dass auch Hunde Humor haben.) Das Wesentliche an so einer guten Beziehung ist in meinen Augen die Zuwendung oder besser gesagt das Einander-Zugewandt-Sein, emotional zu berühren und sich berühren zu lassen.

Gerne darf man mir unterstellen, ich würde die Hunde vermenschlichen, wenn ich diese, meine Definition einer guten Beziehung auch auf sie übertrage. Diese Art von Vermenschlichung finde ich mehr als angebracht, nach allem, was wir inzwischen über Hunde wissen.

 

Bindung

„Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen“ Sebastian Müller

Immer wieder lese ich von Bindungsarbeit, Bindungstraining und speziellen Übungen, um eine gute Bindung zwischen Mensch und Hund zu erreichen. Was folgt, sind meistens Anleitungen, die sich kaum oder nur geringfügig von „normalen“ Anleitungen für Tricks und dergleichen unterscheiden. Das ist ja auch durchaus in Ordnung, vorausgesetzt, es werden keine Alpha-Mythen transportiert oder überkommene Trainingsmethoden wie Leinenruck, Erschrecken oder Bedrohen, empfohlen.

Doch eines wird häufig dabei vergessen: Bindung ist keine Arbeit, sondern, wenn Sie so wollen, eine Haltung. Eine Haltung – von unserer Seite aus – dem Hund gegenüber, die von Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein und Zu-Wendung geprägt ist.

Gene, Umwelt und Erfahrungen

Wir applaudieren zu leichtfüßigen Vorführungen in Dogdancing oder Obedience. Wir sind beeindruckt, zu welchen Leistungen Suchhunde in der Lage sind und wir staunen über die Hunde, die in Fernsehshows ihre Superkünste zeigen.

Doch ist all das wirklich nur eine Frage des Trainings?

Grenzen der Trainierbarkeit aufgrund körperlicher Voraussetzungen sind meistens ziemlich offensichtlich. Es leuchtet uns ein, dass Lassie höher springen kann als Beethoven, Balto schneller läuft als Huutch und dass Dorothy’s Toto geschickter balancieren kann als Inspektor Columbos berühmter Basset „Hund“. Krankheit, Schmerzen, Beeinträchtigungen der Sinnesleistungen (auch schon ganz geringfügige) haben einen großen Einfluss darauf, wie aufnahmefähig der Hund ist. Genetik und Epigenetik sind weitere wesentliche Faktoren, über die zu referieren es Berufenere als mich gibt.

„Lehren heißt, ein Feuer entfachen, und nicht, einen leeren Eimer füllen“ Sebastian Müller

Nicht alles ist in der Praxis trainierbar, nur weil es theoretisch trainierbar ist.

Auch Hunde haben besondere Talente und Begabungen. Und auch Hunde haben Interessen und Themen, die sie mehr und andere, die sie weniger interessieren. HundehalterInnen wissen meistens ganz gut, womit sie ihre Fellnasen begeistern können. Bei dem einen sind das bewegungsintensive, schnelle Beschäftigungen, bei dem anderen eher tüftelige Feinarbeiten – ganz wie bei uns auch.

Und dann kommt auch noch die persönliche Lebensgeschichte hinzu. Mit welchen Voraussetzungen, mit welcher Vorgeschichte ein Hund in seine neue Familie und in die Hundeschule kommt, kann recht unterschiedlich sein. Heranwachsen verläuft in der Praxis oft anders als im Lehrbuch und lässt sich sich nicht einfach hin- oder wegtrainieren.  Prallvoll ist der Rucksack, den ein erwachsener Hund mitbringt, wenn er bei uns einzieht. Erfahrungen und Erwartungen, Gefühle, Gelerntes, Gewohntes und das, was wir als Persönlichkeit bezeichnen, befinden sich darin. So ein Lebens-Backpack kann nicht einfach abgenommen und ins Eck gestellt werden.

Wie gesagt, ich bin ein Fan von gutem Training. Immer wieder darf ich staunend erleben , welche Veränderungen gutes Training in Verhalten und Lebensqualität bringt, wie sich Emotionen und Strategien zum Guten hin verändern. Doch gelegentlich werden mir auch  die Grenzen dessen vor Augen geführt, was mit Training erreichbar ist.

Grenzen der Trainierbarkeit

„Hunde wollen mit Würde und Respekt behandelt werden, und wenn sie uns herausfordern und unsere Geduld strapazieren, dürfen wir trotzdem nie vergessen, dass sie empfindungs­fähige Lebewesen sind, die völlig von unserem Goodwill abhängig sind“ Marc Bekoff

Trotz bester Intentionen, trotz besten Trainings und trotz fleißigen Übens wird nicht aus jedem Schäferhund ein Kommisar Rex. Ncht jeder Bordercollie wird ein Agility Champion und nicht jeder Mops ein menschenfreundliches Schmusetier. Unsere Hunde müssen wohl oder übel hinnehmen, dass wir als Herrchen und Frauchen nicht perfekt sind.  Auch wir müssen lernen, uns mit unseren unperfekten Hunden zu arrangieren.

  • Vielleicht machen nur unsere überzogenen Erwartungen unsere Hunde unperfekt.
  • Vielleicht kann der Hund gar nicht perfekt sein, weil er aus den falschen Gründen ausgesucht wurde oder
  • weil er nicht in die Umwelt passt, in die wir ihn zwingen.

Unsere Erwartungen an unsere Hunde sind gewaltig. So ein Hund hat schon Glück, wenn man ihm Zeit und Raum für seine Entwicklung und zum Lernen gibt. Lernen ist ein Prozess und keine Momentaufnahme. Manchmal ist es hilfreich, einfach anzunehmen, was ist. Zumindest für den Moment, und zu akzeptieren, dass der Hund in diesem oder jenem Punkt „anders“ ist, als erwartet. Das nimmt zumindest den Druck aus der Situation.

Ist es darüber hinaus nicht ein wenig vermessen, zu erwarten, dass der Hund immer und überall „funktioniert“? Wenn es um uns selbst geht, sind wir duchaus kreativ darin, Rechtfertigungen zu finden, warum wir dieses und jenes in diesem speziellen Moment nicht gekonnt, nicht richtig oder überhaupt nicht ausgeführt haben. Ja sogar, warum es überhaupt unerhört und uns gar nicht zumutbar gewesen wäre. Tagesverfassung, äußere Umstände wie Wind oder Temperatur und „innere Umstände“ wie Trauer, Wut oder Enttäuschung haben Einfluss darauf, wie wir Probleme lösen, mit unserer Umwelt, mit Mitmenschen und unseren Hunden umgehen. Warum sollte es bei unseren Hunden anders sein?

[bctt tweet=“Zusammenleben bedeutet auch Zusammenwachsen – und zusammen zu wachsen.“ username=“ImmlerKarin“]

Zusammenleben bedeutet auch Zusammenwachsen – und zusammen zu wachsen.

Wachsen Sie mit Ihrem Hund zusammen oder wie meine Freundin, Franziska Müller, zu sagen pflegt „Trust the process“,

das wünscht Ihnen

Eure und Ihre

Karin Immler

 

 

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