Von Kontrollzwang und zwanglosem Umgang

Eine Radiosendung war der Anlass, mich intensiv mit dem Thema „Zwang“ zu beschäftigen. Als moderne Hundetrainerin hatte ich natürlich sofort den Impuls, die Anwendung von Zwang und Zwangsausübung weit von mir zu weisen. Doch bereits die nähere Betrachtung der Definition für Zwang brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Gespräche in meiner privaten Hunderunde zeigten schnell, dass es tatsächlich in der Hundeerziehung ohne Zwang nicht geht.

Zwang oder Routine?

„Hunde haben ihre eigenen Interessen … und wenn wir diese im Training nicht zu einer Belohnung machen, werden sie eben eine Ablenkung“ Dr. Ian Dunbar

Allzu viele alltägliche Gelegenheiten gibt es, die wir durch Zwang reglementieren (müssen). Wie gehen wir nun tatsächlich mit Zwang um, wenn es um unsere Hunde geht. Wenn man es genau nimmt, dann ist die Leine Zwang. Ist es Zwang, dass wir Menschen bestimmen, wann wir Gassi gehen mit dem Hund, wann er gefüttert wird und wann Ruhe und wann Action angesagt ist? Oder sind es Routinen, die dem Alltag Struktur geben?

 

Für die besagte Radiosendung interviewte ich Dorothee Schneider, die bekannte Trainerin und Autorin („Die Welt in seinem Kopf“), den Chef der Diensthundeinspektion Salzburg, Hannes Loidl, und die Therapiehundeführerin Bettina Fuchs. Übereinstimmend kamen wir zu dem Schluss, dass gutes Training Zwang weitgehend überflüssig macht. Je mehr Klarheit in der Kommunikation zwischen Mensch und Hund herrscht, umso weniger notwendig erscheinen Zwangseinwirkungen. So geht es weniger darum, dem Hund zu zeigen, was er nicht tun darf, sondern ihm vielmehr das lohnend zu gestalten, was er tun soll.

Zwang ersetzt Lernen?

Wer den Alltag mit seinem Hund einem kritischen Blick unterzieht, wird mir zustimmen, dass Zwang immer dann notwendig wird, wenn der Hund (noch) nicht gelernt hat, sich angemessen zu verhalten. Beispiel: Kommt der Hund nicht, wenn er gerufen wird, muss er an die Leine. Kann er sich nicht benehmen, wenn Besuch kommt, wird er weggesperrt.

 

Im Umkehrschluss heißt das: je besser ein Hund erzogen ist = je besser er gelernt hat, sich unseren Regeln entsprechend zu verhalten, umso weniger Zwang ist nötig, um die Einhaltung eben dieser Regeln zu gewährleisten.

 

Vorsorgliche und fürsorgende Führerschaft

Dorothee Schneider plädierte für eine vorsorgliche und fürsorgende Führerschaft, bei der der Mensch bewusst das Management für kritische Situationen übernimmt. Sorgfältiges Erarbeiten der erwünschten Fertigkeiten ermögliche dem Hund, sich in kritischen Situationen „richtig“ zu verhalten. Wichtig ist, dass dieses Lernen mit Spaß, viel positiver Bestärkung und guter Motivation passiert. Kommt dann noch gute Führungsqualität des Menschen hinzu, kommt man mit verhältnismäßig wenig Zwang aus.

 

Fehler nicht entstehen lassen

„Stellen Sie sich vor, Sie seien Ihr Hund, der gerade eine bestimmte Übung lernt. Nehmen Sie sich wieder einen Moment Zeit, sich ganz in Ihren Hund hineinzuversetzen. Sie sind jetzt beim Training. Wie fühlt sich die Übung an, die Sie gerade machen? Was ist leicht, was ist schwer? Was tut Ihr Herrchen/Frauchen? Was würde Ihnen beim Lernen helfen? Welche Gefühle haben Sie?“ Elisabeth Beck

Auch bei der Ausbildung von Polizeihunden wird schon lange auf Teamwork und positive Bestärkung gesetzt. Der Chef der Diensthundeinspektion Salzburg betonte im Gespräch ebenfalls, wie wichtig es ist, dass der Hund zunächst erlernen kann, was man von ihm erwartet. Der – so nannte es der Kontrollinspektor – grüne Weg sichert die freudige Mitarbeit des vierbeinigen Polizisten, die ihn im Ernstfall zu einem zuverlässigen Kollegen macht. Ja tatsächlich, auch “Kommissar Rex” wird über positive Bestärkung ausgebildet und zwar mittels Clickertraining! Der routinierte Diensthundeführer sprach über “Trainieren in kleinen Schritten” und darüber, den Hund fehlerfrei zu seinem Ziel kommen zu lassen. Mit falschen Verhaltensweisen lässt ein guter Hundeführer/eine gute Hundeführerin das Tier gar nicht in Berührung kommen.

 

Es spielt also offenbar keine Rolle, ob es sich um einen Diensthund bei der Polizei, einen Therapiehund oder einen ganz normalen Familienhund handelt. Denn auch die dritte Gesprächspartnerin in dieser Hunderunde setzte auf bestmögliche Vorbereitung der vierbeinigen Therapeuten: Ein guter Therapie- und/oder Besuchshund hat Freude an seiner Tätigkeit und konnte alles, was dafür an Fertigkeiten und Kenntnissen notwendig ist, bereits im Vorfeld in Ruhe und Schritt für Schritt erlernen. Aufmerksamkeit des Menschen, gutes Management vor Ort und gründliche Vorbereitung des Teams machen Zwang im Einsatz überflüssig.

Fazit

Zwang in der HundeerziehungEgal ob Diensthund, Einsatzhund im Besuchsdienst oder Privatier auf vier Beinen, die Lernvorgänge sind bei allen gleich. Lernen in individuellen, kleinen Schritten mit reichlich Belohnung/Bestärkung, gute Kommunikation zwischen Mensch und Hund sind ebenso wie ein klares Management die Voraussetzungen für ein Mensch-Hund-Team, um die Herausforderungen im Dienst, im Einsatz und im Alltag gut zu bewältigen.

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Wieder einmal wird deutlich, wie wichtig es ist, alltagstauglich mit dem Hund zu trainieren und nicht nur in isolierten Übungssituationen. Ebenso klar formulierten alle Gäste meiner Radiosendung die Verantwortung des Menschen: Es gilt, den Trainingspartner „Hund“ mit seinen Bedürfnisses zu respektieren und darauf einzugehen, bewusst für geeignete Trainingsgegebenheiten zu sorgen und Anforderungen kleinschrittig mit vielen Erfolgen abzuarbeiten.

Mich persönlich beschäftigt in diesem Zusammenhang auch folgende Frage: Zwingen wir unsere Hunde wirklich nur, wenn es nicht anders geht? Oder sind Gewohnheit oder gar kleinliche Kontrollsucht dafür verantwortlich? Vielleicht dürfen wir im Umgang mit unseren Hunden viel „zwangloser“ werden.

 

Herzlich

Eure und Ihre

Karin Immler

 

Dieser Text wurde ursprünglich für ein Hundemagazin verfasst und ist dort 2016 erschienen.

 

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