Was passiert, wenn Sie strafen?
Wir schreiben das Jahr 2017, es gibt Montessori-Pädagogik, Waldpädagogik, Steiner-Schulen und was weiß ich was an alternativen Konzepten. Wir haben die antiautoritäre Erziehung überlebt und noch nie in der Geschichte der Menschheit wussten wir so viel darüber, wie Lernen funktioniert und wie Verhalten entsteht. Dennoch ist gerade in der Hundeerziehung der Einsatz von Strafen immer noch – oder leider wieder – weit verbreitet. Dabei ist das ein Paradoxon in sich: Erziehung bedeutet Lernen. Lernen und Strafe aber vertragen sich überhaupt nicht.
Ich habe irgendwann eine Studie gelesen, in der es darum ging, wie viele Methoden die HundehalterInnen kennen, um ihren Hund a) zu belohnen und b) zu bestrafen. Traurigerweise gab es sehr viele Ideen zum Thema Strafe – wenn ich mich recht erinnere ca. 40 Varianten. Belohnungen wurden durchschnittlich drei genannt: Futtergabe, streicheln und verbales Lob. Was für eine traurige Bilanz!
Strafe = Gefahr
„Ich möchte, dass meine Hunde aktiv mitarbeiten und auch selbstständig nach Lösungen suchen – das geht nur, wenn sie sich das auch trauen“ Ulrike Seumel
„Ich möchte, dass meine Hunde aktiv mitarbeiten und auch selbstständig nach Lösungen suchen – das geht nur, wenn sie sich das auch trauen“ Ulrike Seumel
Was passiert, wenn Sie Ihren Hund strafen? Möglicherweise sieht es im ersten Moment so aus, als würde Strafe funktionieren. Ihr Hund lässt von seinem Tun ab (und schaut Sie irritiert oder womöglich ängstlich an). Doch hilft Ihnen das tatsächlich für die Zukunft? Hat Ihr Hund jetzt gelernt, wie er sich das nächste Mal in dieser Situation verhalten soll? Das wage ich zu bezweifeln, denn die Information, was richtig wäre, haben Sie ihm ja vorenthalten.
Mit Strafen schaffen Sie möglicherweise Probleme, anstatt sie zu lösen, denn Strafe hat eine ganze Reihe von Nachteilen:
- Strafe erklärt Ihrem Hund nicht, was er tun soll.
- Strafe erzeugt Stress bei Ihrem Hund, Stress hemmt seine Lernfähigkeit.
- Strafe erzeugt Angst oder zumindest Unsicherheit bei Ihrem Hund, beides hemmt seine Lernfähigkeit.
- Strafe zieht nicht nach sich, dass Ihr Hund sich richtig verhält, sondern nur, dass er sich gar nicht verhält = Meideverhalten.
- Strafe stört das Vertrauen, dass Ihr Hund zur strafenden Person = zu Ihnen hat
- Strafe schwächt die Bindung zwischen Ihnen und Ihrem Hund
Wie gesagt: Strafen schafft Probleme – keine Lösungen.
Besonders den letzten Punkt möchte ich der Deutlichkeit halber noch einmal herausstreichen. Denn das bedeutet, der strafende Umstand bzw. die strafende Person wird zu einem Sicherheitsrisiko für Ihren Hund. Sie werden zu einem Sicherheitsrisiko für Ihren Hund!
Interessant finde ich auch Überlegungen, wie sich Strafen auf die strafende Person auswirkt. Wie fühlt sich der/die Strafende, in dem Moment, in dem gestraft wird? Geht es tatsächlich um Machtgefühle? We ist es um die Verhältnismäßigkeit zwischen Strafe und „Missetat“ bestellt? Wird bewusst/mit Absicht gestraft oder passiert es einfach?
Eines steht für mich ganz außer Zweifel: Strafe verschlechtert die Beziehung zwischen Mensch und Hund. Und das alleine sollte doch Grund genug sein, sich genau zu überlegen, ob Sie Strafe anwenden möchten. Schließlich wünschen auch Sie sich eine gute Beziehung mit Ihrem Hund, einen liebevollen und freudigen Gefährten, der Ihnen vertraut.
Wer entscheidet, was Strafe ist?
Unterschiedlich ist auch die Wahrnehmung, was Strafe überhaupt ist. So ein Sprühstoß, was ist das schon? Das tut doch nicht weh! Das bisschen Rucken an der Leine, das tut ihm doch nichts. Mit Metallscheiben oder – in der weichgespülten Variante – mit Taschentuchpackerln beworfen zu werden, dass macht doch nichts. Neuerdings ist ja auch das piksen in die Weichteile sehr in Mode gekommen (nein, ich schimpfe jetzt nicht übers Fernsehen), gerne begleitet von seltsamen Zischlauten. Es mag schon sein, dass diese Dinge nicht sehr schmerzhaft sind. Aber mit Strafe – und auch mit Gewalt – ist es wie mit Belohnung: nicht der Absender entscheidet, sondern der Empfänger.
„Strafen und Belohnungen werden vom Empfänger definiert. Nicht vom Sender“ Karen Pryor
„Strafen und Belohnungen werden vom Empfänger definiert. Nicht vom Sender“ Karen Pryor
Was strafend = unangenehm empfunden wird, ist sehr individuell. Fernseherverbot würde mich zum Beispiel nicht sehr treffen, Internetverbot dagegen sehr. Bei meiner Freundin wäre das umgekehrt, sie würde Internetverbot kaum bemerken, Fernsehverbot dagegen würde ihre Lebensqualität deutlich schmälern. Die Empfindung bei körperlichen Strafen oder allem, was auf Erschrecken basiert, ist ebenfalls eine sehr persönliche, abhängig z.B. von Schmerzempfindlichkeit und Nervenkostüm.
Eines sollten wir uns klar machen: wenn dieser Sprühstoß es tatsächlich schafft, dass Ihr Hund auf die Sekunde seine hingebungsvolle Kläfferei in Richtung Nachbars Dackel einstellt, dann muss er doch eine durchaus massive Einwirkung darstellen.
Strafen aus Gewohnheit
Augenfällig ist außerdem, dass sich das Strafen irgendwie verselbstständigt. Viele Menschen nehmen gar nicht mehr wahr, wie oft sie an der Leine rucken, den Hund anzischen, ihn blockieren, mit der Hand ins Sitz drücken und dergleichen. Dazu kommt, dass sich der Nachdruck steigert. D.h. das Rucken wird heftiger, grober – und häufiger. Sie gewöhnen sich genauso daran wie Ihr Hund und wenn die Ruckerei dann noch Wirkung zeigen soll, muss sie in ihrer Intensität immer wieder eine Steigerung erfahren, d.h. Sie müssen immer heftiger rucken. Das kostet Kraft, eine Menge Energie und wer halbwegs intelligent strafen will (schon wieder ein Paradoxon), muss seinen Hund genau beobachten und sein Timing gut im Griff haben. Mit demselben Timing und derselben Beobachtung (und wesentlich weniger Kraftaufwand) könnten Sie alternativ das Wohlverhalten Ihres Hundes verstärken. Einer der Vorteile daran wäre, dass diese Vorgehensweise die Laune hebt – Ihre und die Ihres Hundes. Ein weiterer, dass Ihr Hund tatsächlich eine Chance hat, zu lernen, was in dieser Situation angemessenes/erwünschtes Verhalten ist.
Falls Sie Bedenken haben, Sie könnten den Respekt Ihres Hundes verlieren, kann ich Sie beruhigen. Denken Sie doch an Ihr eigenes Autoritätsempfinden. Sind es wirklich die lauten, bei jeder Gelegenheit tadelnden und strafenden ChefInnen oder LehrerInnen, die Sie als Autorität und Respektsperson wahrnehmen?
Blättert man durch die Angebote der Zubehörhändler, dann wird man trotz Tierschutzgesetz blass, oder je nach Temperament auch ziemlich zornig. Was die menschliche Fantasie an seltsamen Instrumenten hervorbringt, um Hunde einzuschränken, ihnen Schmerzen zuzufügen, sie gefügig zu machen, das ist wirklich pervers. Wäre diese Kreativität nicht sinnvoller investiert, uns Belohnungsmöglichkeiten für unsere Hunde zu überlegen. Denn die oben erwähnten drei, Futtergabe, Streicheln und verbales Lob, sind ja auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Wie ungerecht!
Was mich ganz besonders ärgert, sind Strafen, die der Hund abbekommt, weil er etwas (noch) nicht gelernt hat. Vielleicht weil er eben im Training noch nicht weiter ist, sehr oft, weil sich noch niemand die Mühe gemacht hat, ihm zu erklären, was er denn überhaupt in dieser Situation tun soll. Das ist schlicht und ergreifend eine Gemeinheit und Gemeinheiten haben in einer harmonischen Beziehung nichts verloren.
In dieselbe Kategorie – nein eigentlich noch ein bisschen schlimmer – fallen Strafen für Verhaltensweisen, für die der Hund nichts kann. Ein Hundebaby dafür zu bestrafen, dass es in die Wohnung macht, das ist ebenfalls eine ausgemachte Gemeinheit. Erstens entwickelt sich die Kontrolle über Darm und Blase erst im Laufe des Heranwachsens und zweitens kann das Hundebaby nichts dafür, wenn seine Menschen nicht aufpassen und die Anzeichen für „schnell jetzt, ich muss“ nicht sehen oder nicht erkennen. Überhaupt sind viele Menschen Welpen gegenüber sehr sehr ungerecht. Doch das gibt genügend Stoff für einen eigenen Blogartikel
.“Es gibt immer tausend Wege eine Übung aufzubauen – fünfhundert davon sind tierschutzrelevant. Es bleiben noch fünfhundert übrig, die wir nutzen können” Viviane Theby
“Es gibt immer tausend Wege eine Übung aufzubauen – fünfhundert davon sind tierschutzrelevant. Es bleiben noch fünfhundert übrig, die wir nutzen können” Viviane Theby
Zu erleben, dass mein Hund mir vertraut – gerade wenn es „dick kommt“, gehört zu den für mich ganz kostbaren Momenten. Mit dem Zitat von Viviane Theby verabschiede ich mich für heute von Ihnen und wünsche Ihnen viele dieser kostbaren Momente mit Ihrem Hund.
Herzlichst
Eure und Ihre
Karin Immler
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