Da muss er durch!
Ich weiß mich in guter Gesellschaft, wenn ich bei diesem Spruch zusammenzucke. Dabei ist es gar nicht der Satz an sich, sondern die Haltung, die dahintersteht, was mir daran zu schaffen macht. Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Situationen, die wir unseren Hunden nicht ersparen können, durch die sie „durchmüssen“, Die Frage ist nur WIE. WIE muss Ihr Hund durch eine schwierige Situation hindurch?
Muss er auf sich allein gestellt bewältigen, was auch immer da herausfordernd ist?
Oder hat er Hilfe und Unterstützung dabei – Ihre Hilfe und Unterstützung?
Weisungsgemäß allein regeln?
„Aus Teamwork können Freundschaften entstehen, die ein Leben lang halten“ – Natalya Neidhart
„Aus Teamwork können Freundschaften entstehen, die ein Leben lang halten“ – Natalya Neidhart
Es ist im Grunde paradox. Was wird sich nicht verrenkt und verbogen, damit der Hund sich nur ja in jedem Moment an seinem Menschen orientiert. Viele Stunden Üben und Training werden investiert, damit der Hund sich weisungsgemäß benimmt und ja keine Eigeninitiative zeigt. Und dann ist er in einer schwierigen Situation, steht vor einer Herausforderung, auf die er nicht vorbereitet wurde und was dann? Dann heißt es plötzlich „Da muss er durch!“. „Das kriegen die schon alleine geregelt!“ und dergleichen mehr.
Plötzlich ist genau der Hund, der gewohnt ist, Anweisungen zu bekommen, der gelernt hat, dass Eigeninitiative nicht gut ankommt, auf sich selbst gestellt. Meist sind es emotional geladene Situationen, in denen das passiert. Eine unerwartete Hundebegegnung, ein ungewohntes, vielleicht lautes und unruhiges Umfeld, plötzliche Geräusche oder eine schmerzhafte Untersuchung. Und so erlebt der Hund, dass sein wichtigstes Gegenüber, sein Mensch, sein Bindungs- und Beziehungspartner ausgerechnet in aufwühlenden, anstrengenden und herausfordernden Momenten nicht zur Verfügung steht.
So eine Erfahrung kann nachhaltig sein. Und wenn es wiederholt zu solchen Erlebnissen kommt, ist es nicht verwunderlich, wenn es Spuren in der Beziehung hinterlässt.
Angst und Stress
Stress und Angst funktionieren beim Hund ebenso wie beim Menschen. Das hat nichts mit Vermenschlichung zu tun, es gibt genügend Forschungsergebnisse, die das belegen. Und so ist es ziemlich naheliegend, sich anzuschauen, wie es uns Menschen in vergleichbaren Situationen geht.
Wie geht es Ihnen?
Was macht es mit Ihnen, wenn Ihr Partner, Ihre Partnerin ignoriert, dass Sie total aus dem Häuschen sind und gar nicht wissen, was jetzt von Ihnen erwartet wird?
Wie geht es Ihnen, wenn diese Person so tut, als merke sie nicht, dass Sie sich fürchten, dass Sie Angst haben und keine Ahnung haben, wie Sie aus der Situation herauskommen können. Selbst dann noch, wenn Sie mehrfach um Hilfe gebeten haben?
Würde das Ihrer Beziehung guttun und Ihr Vertrauen in diesen Menschen stärken? Oder wären Sie irritiert und verletzt und Ihr Vertrauen in diese Person würde, wenn sich solche Begebenheiten wiederholen, darunter leiden, vielleicht sogar völlig verlorengehen?
Ganz anders ist es, wenn Ihr Gegenüber Ihr emotionale Schieflage erkennt (oder zumindest erahnt), diese ernst nimmt. Wie wunderbar, wenn Ihr Vertrauensmensch Sie in den Arm nimmt und Ihnen versichert, „wir schaffen das!“ oder „ich sehe, dass du Angst hast. Lass mich dir helfen!“ Das ist es, was wir in einer sozialen Gemeinschaft erwarten und was wir brauchen!
Sie sind verantwortlich!
Sehen Sie, genau das darf auch Ihr Hund von Ihnen erwarten: dass Sie erkennen, wenn es ihm schlecht geht, wenn er Angst hat oder überfordert ist. Dass Sie Maßnahmen setzen, die es ihm erleichtern, diese Situation zu bewältigen. Und wenn das nicht möglich ist (ich erinnere an die Silvesterknallerei, die ja noch nicht allzu lang hinter uns liegt), zumindest mit Ihrer Aufmerksamkeit bei ihm zu sein und gemeinsam das Schreckliche durchzustehen.
Sie sind das wichtigste Gegenüber für Ihren Hund! Das bedeutet Verantwortung und die Verpflichtung für ihn da zu sein, wenn es ihm – aus welchem Grund auch immer – schlecht geht.
Doch Ihre Verantwortung kommt nicht nur in der Akutsituation zum Tragen. Sie beginnt lange vorher. Viele Herausforderungen sind vorhersehbar, Sie wissen, dass es irgendwann dazu kommen wird. Also nutzen Sie die Zeit und bereiten Sie Ihren Hund darauf vor.
Wenn Sie eine Bahnreise planen, geben Sie Ihrem Hund die Möglichkeit, zu erlernen, was dafür notwendig ist, den Maulkorb zu tragen, trotz der Geräusche und Bewegungen am Bahnsteig ansprechbar zu bleiben, im Abteil auf seiner Decke zu bleiben und dergleichen mehr. Auch auf den erwähnten Jahreswechsel können Sie Ihren Hund zu mindest teilweise vorbereiten, Hundebegegnungen kann man üben, Gittertreppensteigen und vieles andere ebenfalls.
Das heißt nun nicht, dass Sie jegliche Situation vorher beübt haben und Ihr Hund perfekte Handlungsabläufe für alles und jedes haben muss. Aber es heißt, dass Sie möglichst vieles vorsorglich bereits berücksichtigt haben, dass Ihr Hund über gut geübte Verhaltensroutinen verfügt, Vertrauen zu Ihnen hat und Sie so im Idealfall sogar verhindern können, dass eine Ausnahmesituation entsteht.
Tierarztbesuch als Ausnahmesituation
„Wo Unfertigkeit bestraft wird, wird Reifung verhindert“
Michael Köditz
„Wo Unfertigkeit bestraft wird, wird Reifung verhindert“
Michael Köditz
Tierarztbesuche sind dafür ein gutes Beispiel. Es ist absehbar, dass Ihr Hund im Laufe seines Lebens immer wieder zum Tierarzt muss. Es gibt zwar einige Hunde, die nur gelegentlich vorstellig werden, um sich eine Impfung abzuholen und sonst keine tiermedizinischen Themen haben. Die meisten Hunde brauchen irgendwann auch eine umfassende Untersuchung oder vielleicht sogar eine schmerzhafte Behandlung. Und da soll dann Ihr Hund völlig unvorbereitet minutenlang ruhig auf dem Behandlungstisch sitzen oder liegen, sich cool von unhöflichen Fremden anfassen oder gar festhalten lassen. Noch dazu, wo es dort ganz schrecklich riecht, die Menschen furchtbar übergriffig sind, er keine Ahnung hat, was als nächstes kommt und es womöglich auch noch wehtut!
In den letzten Jahren hat sich eine Trainingssparte herausgebildet, die immer mehr AnhängerInnen findet und genau diese Thematik abdeckt: das Medical Training, Tierarzt- und Pflegetraining. Dabei handelt es sich um eine komplexe Herangehensweise, die viele Aspekte vereint: Von Entspannungsroutinen über Desensibilisierung bis zu den Kooperationssignalen ist darin vieles enthalten, womit Ihr Hund gemeinsam mit Ihnen schwierige Situationen gut bewältigen kann.
Haben Sie schon einmal miterlebt, wie fürsorglich viele Mütter ihre Sprösslinge auf den Zahnarztbesuch vorbereiten oder sogar manche ÄrztInnen? Ein jeder Schritt wird da genau erklärt, Gerätschaften werden vorher gezeigt und es kommt auch der Hinweis „das wird jetzt gleich ein bisschen weh tun“. (Zu meiner Zeit gab es danach vom Zahnarzt sogar ein Zuckerl oder ein Gummibärchen, weil man „so tapfer gewesen“ war.)
Im Medical Training ermöglichen Sie dem Hund, sich kleinschrittig mit Positionen, Abläufen und Utensilien anzufreunden und vor allem, freiwillig mitzumachen. Das alles sorgt für Sicherheit und gute Gefühle. Und gute Gefühlen machen vieles einfacher. Die Früchte dieses Trainings ernten Sie nicht nur beim Tierarzt und beim Hundefriseur. Auch daheim profitieren Sie davon, beispielsweise beim Bürsten, wenn Sie eine Zecke entfernen oder ein Medikament verabreichen.
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Eine gute Beziehung – ein Traumteam
Der ganz große Gewinner, wenn Sie sich für eine kooperative und freundliche Trainingsweise entscheiden, ist die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Hund. Diese Art des Umgangs fördert das gegenseitige Vertrauen und das aufmerksame Miteinander. Und das ist es doch, was wir uns alle wünschen: eine gute und vertrauensvolle Beziehung!
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